London ist im Hinblick auf die Architektur ein echtes Mekka. Es gibt immer noch teils jahrhundertealte Gebäude aus allen Epochen, die die Entwicklung der Stadt und der Gesellschaft vor allem im 19. und 20. Jahrhundert widerspiegeln. Anders als in deutschen Städten, wo die meisten Innenstädte, aber auch Fabriken im Zweiten Weltkrieg unwiederbringlich zerstört wurden, findet man in London immer noch viele Gebäude aus der Vorkriegszeit, insbesondere auch aus der kurzen Zeit der Moderne zwischen 1925 und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, die man heute weitgehend dem Begriff Art Deco zuordnet.

Es gibt insbesondere im sogenannten Metroland, in den Siedlungen und Vorstädten von Greater London, die in den 1930er Jahren entwickelt wurden, noch sehr viele architektonische Zeitzeugen aus dieser Epoche. Was die Gebäude oft so faszinierend macht, ist ihre zeitlose Eleganz und ihr modernes Erscheinungsbild, das auch noch fast 100 Jahre später funktioniert und bei den Menschen immer noch den Wunsch weckt, in solch einem Gebäude leben oder arbeiten zu wollen. Besonders Instagram-Accounts wie Londonsuburbia von Simon Pollock oder ArtdecoUK widmen sich intensiv der Dokumentation von noch erhaltenen architektonischen Highlights aus der Zeit des Art Deco. Man kann sich in der Tat beim Betrachten dieser Fotos in einer nicht enden wollenden Zeitreise verlieren.
Da sich Art Deco in Großbritannien vor allem am Vorbild von Hollywood orientierte, sollte mit dem Baustil auch immer ein Hauch von Luxus und Glamour vermittelt werden. Anwendung fand der neue, moderne Stil des Art Deco vor allem bei öffentlichen Gebäuden wie Kinos, Kaufhäusern oder auch Londoner U-Bahn-Stationen sowie bei großen Apartment-Blöcken für Wohlhabende und Industriegebäuden.


Ein besonders ikonisches Gebäude im Stil des Art Deco ist zweifelsohne das berühmte ehemalige Londoner Kraftwerk Battersea Power Station am Ufer der Themse, erbaut in mehreren Phasen ab 1929. Mehr darüber an anderer Stelle dieses Blogs.


Weniger beliebt war der moderne Stil des Art Deco beim Bau von Wohnhäusern, insbesondere bei privaten Einfamilienhäusern, die sich doch eher an konservativer Gemütlichkeit im Cottage-Stil orientierten. Mit den typischen, gleichförmigen Semi-detached Häusern (Doppelhaushälften) hat sich in Großbritannien zudem ein ganz eigener Baustil ab den 1930er Jahren in den Vorstädten breit gemacht. Auch in Deutschland hat sich etwa der moderne Stil des Bauhauses nie wirklich durchgesetzt und wurde bereits in den frühen 1930er Jahren von den Nationalsozialisten geächtet. Dennoch findet man auch weiterhin vereinzelt Villen im Art Deco Stil in den Vororten von London, die inzwischen sorgfältig restauriert wurden und in altem Glanz erstrahlen.

Wer einmal damit angefangen hat, nach den Art Deco Schätzen im Großraum London zu suchen, wird oft davon nicht mehr losgelassen. Es kann sogar zu einer regelrechten Sucht ausarten. Man stößt bei der Recherche auf immer neue Schätze und faszinierende Zusammenhänge, so wie etwa im Blog Modernism in Metroland von Joshua Abbott, der auch einen gleichnamigen Führer in Buchform herausgegeben hat, siehe weiter unten.

Auch mich hat inzwischen das Art Deco Fieber gepackt, und ich fahre immer öfter in die Vorstädte, um nach besonderen Gebäuden zu suchen. Manche nennen dies auch „hunting for Poirot houses“, weil in der britischen TV-Serie Agatha Christie’s Poirot mit dem Meisterdetektiv Hercule Poirot viele Art Deco Häuser als passende Kulisse für die Aufklärung von mysteriösen Mordfällen dienen. Das elegante Apartment Haus Florin Court am Charterhouse Square in London etwa war Poirots fiktionale London Residenz „Whitehaven Mansions“.

Besonders beim Bau von Kinos fand der Stil des Art Deco Anwendung und brachte so die Moderne und den Glamour von Hollywood in die Innenstädte und neuen Vororte. Zwischen 1930 und 1940 wurden in Großbritannien 300 neue Kinos gebaut, so dass mehr oder weniger jede Stadt ihren eigenen Filmtempel hatte.

Mit dem Niedergang des Kinos in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts verloren viele Gebäude wie in Deutschland ihre Funktion, wurden in Shops oder Bingo-Hallen umgewandelt oder gar abgerissen. Dennoch sind einige Kleinode noch erhalten oder wurden inzwischen restauriert. Manchmal hat auch nur eine markante Fassade überlebt und wurde in einen Neubau integriert.

Auf der Webseite von Londonist gibt es einen Beitrag mit 18 Underrated Art Deco Buildings In London That You Need To See mit Beispielen von schönen, noch erhaltenen Art Deco Gebäuden in London, die einen Besuch wert sind.



Der zweite Teil dieser Blog-Serie über Art Deco Gebäude in Großbritannien und London findet sich hier.
Lesetipp für weitere Recherchen:

Über die Webseite von Joshua Abbott Modernism in Metroland kann man einen kleinen, praktischen Führer erwerben, der einen zu den vielen Schätzen von Modernism in Metroland in den Vorstädten von London führt.
Our „A Guide to Modernism in Metro-Land“ is the essential guidebook to discovering the modernist treasures of London’s suburbs. From the underground stations of Charles Holden to the fantastical factories of Wallis, Gilbert & Partners to one off post war modernist houses, A Guide to Modernism in Metro-Land will accompany you through the suburbs of London and the home counties. The guide covers nine London boroughs and two counties, with a map for each area, descriptions of each building and colour photographs.
Webseite von Joshua Abbott
Dieses kleine, handliche Büchlein wird Architektur- und Designliebhabern noch viele glückliche Stunden in London bescheren!
Fortsetzung folgt…


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2 Kommentare zu „Architektur-Erlebnis: Art Deco in London und UK (Teil 1)“