Über das Barbican – genauer das Barbican Estate – mitten in der City von London nicht weit von der St. Paul’s Cathedral wurde schon viel geschrieben. Und es wurden noch mehr Bilder gemacht. Der riesige Komplex, eine Orgie aus Beton mit über 2.000 Wohnungen, ist ein Vorzeigemodell für den Baustil des Brutalismus in Großbritannien und der restlichen Welt. Das Quartier in der Innenstadt von London – heute erreichbar über die gleichnamige U-Bahn Station – wurde im Zweiten Weltkrieg durch Angriffe der deutschen Luftwaffe während des sogenannten Blitz weitgehend zerstört. Es bot sich so die Gelegenheit, an solch exponierter Stelle auf rund 14 Hektar Fläche etwas ganz Neues zu wagen. Ein Architekturwettbewerb in den 1950er Jahren wurde von dem damals einflussreichen Architekturbüro Chamberlin, Powell and Bon gewonnen. Es arbeitete ein Projekt für die größte Wohnsiedlung der City of London inklusive Kulturzentrum aus, das dann zwischen 1965 and 1976 gebaut wurde. Noch heute lebt in den Türmen und Bauten des Barbican Komplexes die Mehrheit der Bürger*innen der City of London, die ansonsten weitgehend von seelenlosen Banken und Geschäftshäusern geprägt ist.

Ich persönlich liebe ja das Barbican und besuche den Komplex so oft wie möglich. Ein wirklich faszinierendes, ja atemberaubendes Architekturmonster im Stile des Brutalismus aus den 1970er Jahren. Die Anlage besteht aus drei 123 Meter hohen Hochhaustürmen mit 42 Stockwerken und 14 niedrigeren Gebäuden. Das gesamte Ensemble steht inzwischen unter Denkmalschutz.
Die verantwortlichen Architekten Chamberlin, Powell and Bon haben sich viele Jahre mit dem Projekt beschäftigt. Der gesamte Bau ist wirklich durchdacht und spiegelt das Lebensgefühl der späten 1960er und 1970er Jahre und den Aufbruch in die Moderne wieder. Es ist kein Zufall, dass man sich immer wieder in einen Science Fiction-Film aus den 1970er Jahren versetzt fühlt. Das Barbican war auch immer wieder Kulisse für Filme unter anderem als MI6 Zentrale im James Bond Film Quantum of Solace von 2008.

Die Architekten wollten vor allem im Sinne großer Vorbilder wie Le Corbusier ein modernes, besseres Wohnen mitten in der Großstadt ermöglichen und ein ganzes Wohnquartier mit verschiedenen Zugängen gestalten. Wobei der Barbican Komplex von Anfang an für Geschäftsleute und besser gestellte Bewohner*innen der City of London gedacht war und kein Sozialbau-Projekt darstellte wie so viele andere, vergleichbare Hochhaus-Bauten in London und anderen Großstädten aus jener Zeit. Schöne historische Fotos aus der Zeit des Baus des Barbican finden sich in diesem Beitrag bei Londonist.

Eine für die Zeit typische Idee: Das Leben im Barbican sollte sich auf einer höheren Ebene abspielen, während Verkehr und Straßen im Untergrund verschwinden. Von den benachbarten Quartieren führen daher teils Brücken und Überwege oberhalb der Straßen auf das Gelände. Doch dieses Konzept hat sich nie wirklich durchgesetzt und blieb daher auch unvollendet. Es ist auch mit ein Grund dafür, dass sich auf dem Gelände des Barbicans so gut wie keine Läden, Pubs oder Restaurants befinden. Diese waren eigentlich in den Untergeschossen der Gebäude vorgesehen. Die Wohnungen waren von Anfang an flexibel aufteilbar, um einer Vielzahl von Ansprüchen gerecht zu werden, und verfügten über in der Regel begrünte Balkone. Es gibt sogar eine Ecke mit kleinen würfelförmigen Einfamilienhäusern im Grünen!

Noch heute sind die Wohnungen in der riesigen Anlage heiß begehrt und, falls überhaupt mal eine frei wird, wahrscheinlich für Normalsterbliche auch nicht bezahlbar. Sie sind fast ausschließlich in privatem Eigentum. Auf dem weiträumigen Gelände beziehungsweise daran anschließend befinden sich zudem die historische Kirche und Überlebende des Zweiten Weltkriegs St Giles Cripplegate, das Museum of London, das 2023 in eine ehemalige Halle des Smithfield Market um die Ecke verlegt wird, die Guildhall School of Music and Drama sowie die City of London School for Girls.
Das Barbican Centre

Bekannt ist das Barbican vor allem für das Barbican Centre, ein Kulturzentrum mit Bibliothek, Theater, Kino, Galerie, Shop, etc. Die Corporation of London ließ das Barbican Centre zwischen 1971 und 1982 für damals 156 Millionen Pfund erbauen, bevor es am 3. März 1982 von Queen Elisabeth II. eröffnet wurde.

Hier gibt es regelmäßig ein umfangreiches Programm aus Konzerten, Theateraufführungen, Ausstellungen und Filmen im dazu gehörigen Kino. An das große Foyer im Zentrum grenzen auch die Bibliothek sowie Restaurants und Cafés. Eine Übersicht der Veranstaltungen findet sich im Event Kalender auf der Barbican Webseite.

Das Barbican Conservatory







Einen Besuch wert ist auch das Barbican Conservatory im Zentrum der Anlage, das zweitgrößte Gewächshaus in London, das über 2.000 verschiedene exotische Pflanzen beherbergt. Der tropische Garten ist unter einem Glasdach um den Betonturm der Kulissenbühne des Theaters gebaut, um dessen wuchtige Dominanz zu kaschieren. Im Zentrum gibt es eine kleine Bar mit Drinks. Das Conservatory ist aber nur an bestimmten Tagen geöffnet, meist sonntags. Der Eintritt kostet nichts, aber man muss aktuell ein Zeitfenster für den Besuch buchen, was man etwa eine Woche vorher machen kann. Die Tickets sind meist im Voraus schnell ausgebucht. Es werden aber morgens am Tag der Öffnung nochmals Tickets freigeschaltet. Tickets für den Besuch des Conservatory gibt es auf der Barbican-Webseite. Wenn man eine Führung macht, kann man mit diesem Ticket wohl auch ohne Anmeldung das Gewächshaus besuchen. Weitere Fotos und einen Bericht zum Besuch des Conservatory finden sich bei Simone Kunisch im Blog Totally London.










Ich kann jedem, der sich für Architektur und Moderne interessiert, einen Besuch ans Herz legen. Ich habe im September 2022 zum ersten Mal auch eine Architekturführung (mit der tollen Beth) gemacht, die sehr interessant und aufschlussreich war. Die Architekturführungen finden fast täglich statt, kosten aktuell 15 Pfund und sind über die Webseite des Barbican buchbar. Die Tour dauert offiziell 90 Minuten und führt einmal um den Gebäudekomplex herum. Es gibt viele Details über die Geschichte des Barbican, die Ideen dahinter, die Besonderheiten der Architektur und der generellen Gestaltung mit Beton. Ins Innere der Wohnungen hatte man verständlicherweise keinen Einblick, obwohl eine Schauwohnung im Originalzustand und Design der 1970er Jahre natürlich eine phantastische Ergänzung wäre. Doch wie es sich im Barbican heute so wohnt, kann man schön in diesem Beitrag von Londonist sehen.
Ausführliche Infos rund um die Architektur des Barbican und Antworten auf viele Fragen finden sich auf der Barbican-Webseite.
© SCRITTI 2023, all rights reserved. Weiterverwertung nur nach Absprache mit dem Urheber.
Ein Gedanke zu „Barbican – Brutalismus Ikone mitten in London“